Montag, 18. Februar 2008

Leben als öffentlicher Körper

Sex als Kunst? Die ehemalige Porno-Königin und Sexualwissenschaftlerin Annie Sprinkle zeigt ab 16. Januar auf Kampnagel "Herstory of Porn"

Kann Sex Kunst sein? Der Porno-Profi der internationalen Kunstszene, Annie Sprinkle, macht seit zwölf Jahren mit ihrem Rubenskörper Kunst, die atmet und schwitzt - Kunst als Realitätsschock. Vom 16. bis 19. Januar erzählt die 47-jährige Amerikanerin ("Ich hatte 3000 Männer") auf Kampnagel ihre sexuelle Lebensgeschichte in Form der Film-Performance "Herstory of Porn", die sie zugleich aufklärerisch begreift: "Meine Show ist mental provozierend, weil sie auch vom Patriarchat handelt, die männliche Einstellung zur Sexualität demonstriert."
Ausschnitte aus ihren Porno-Filmen - eintönige, frauenfeindliche, lustvolle, lustige und erotisierende - kommentiert die promovierte Sexualwissenschaftlerin Dr. Annie Sprinkle live am Mikro. "Es ist ein expliziter Blick auf Sexualität", sagt sie. "Frauen aus der Sex-Industrie lieben diese Show, doch manche heterosexuelle Männer fühlen sich etwas verloren." Das mag an der leinwandfüllenden Präsenz der Mega-Frau Annie Sprinkle liegen, die die Fruchtbarkeit in Person verkörpert. Darin sieht die erklärte Feministin auch das politisch Subversive: "Es geht um die tief sitzende Angst des Mannes vor der sexuellen Macht der Frau. Und letztlich geht es um all jene Dinge, die in unserer Kultur verborgen werden: Geburt, Tod und Sexualität."
Sex könne keine Kunst sein, ist eines der häufigsten Vorurteile, mit denen Annie Sprinkle zu kämpfen hat. "Das ist wie mit dem Kunstgewerbe. Das kann angeblich auch keine Kunst sein. Ich meine, Pornografie ist Volkskunst. Sie ist für sehr viele Menschen gemacht, genauso wie die meisten Hollywood-Filme. Und Sexarbeit ist sehr theatralisch. Wie eine Performance. Aber darüber hinaus ist sie eben auch wahr."
Gordana Vnuk, die Leiterin der Kampnagel-Fabrik, hat Annie Sprinkle eingeladen, weil sie "die Unmittelbarkeit der Pornografie in den Kontext von Performance Art (überträgt) und so den Mythos der symbolischen Form und ästhetischen Distanz von Kunst ins Wanken (bringt)".
Sex, belegt die Performerin, sei eines der wichtigsten Dinge in unserem Leben: "In der Sex-Industrie wird in den USA viel, viel mehr Geld verdient als im gesamten Profi-Sport oder in der Musikbranche."
Ein Leben als öffentlicher Körper - das macht Annie Sprinkle nach eigenem Bekunden nichts aus, im Gegenteil: "Ich mag die Aufmerksamkeit, und ich bin stolz auf mein Geschlecht." Der Extremgipfel ihrer Karriere war vor elf Jahren erreicht, als sie Besucher ihrer Performance einlud, mittels Spekulum in ihre Gebärmutter zu blicken. "Frauen sollten ihren Körper lieben", meint sie dazu pragmatisch. Männer natürlich auch. Inzwischen kann man ihr Innerstes nur noch im Internet betrachten.
Corny Littmann war vor gut zehn Jahren der erste Deutsche, der den Mut hatte, die Radikal-Performerin ins Schmidt Theater einzuladen. Zu ihm und den Kiez-Leuten hat die Amerikanerin bis heute ein inniges Verhältnis. "Hamburg ist eine unglaublich liberale Stadt. Ich habe hier viele Freunde gewonnen."
Mit 18 Jahren entdeckte die schüchterne Ellen Steinberg, so ihr eigentlicher Name, ihren Appetit auf Sex. Sie drehte 150 Pornofilme und schwenkte dann um ins feministische "Lager", allerdings ohne, wie üblich, Pornos als frauenfeindlich zu verteufeln: "Es gibt nur gute oder schlechte Pornofilme", sagt sie überzeugt. Sie engagierte sich für "Safe Sex" beim Drehen, sie kämpft für die Legalisierung der Prostitution in Amerika, und unermüdlich ist sie als Aufklärerin in Sachen Sex unterwegs - mehr und mehr auch an Universitäten.
Sex ist für Annie Sprinkle inzwischen auch ein Weg zu spiritueller Erleuchtung geworden. Seit einiger Zeit lebt sie in Kalifornien mit ihrem "guten alten Freund und Tantra-Lehrer" Jwala zusammen. Sie gibt Massage-, Orgasmus- und Atem-Workshops (20.1. ab 14 Uhr auf Kampnagel) und tut alles, um als gute Fee der sexuellen Befreiung in die (Kunst-)Geschichte einzugehen.



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